Wie es Glückstage gibt, gibt es auch gelungene Abende. Ein derartiger war gestern, als Bundespräsident Alexander Van der Bellen Peter Handke, anlässlich des Nobelpreises für Literatur, zu sich in die Hofburg lud. Im Kreis von Freunden und Vertreterinnen und Vertreter der Kultur – von Politik bis zur Literatur.
Van der Bellen würdigt ihn – „mit Hemmungen“, wie er sagt, er sei „Ökonom und kein Literaturkritiker. Bei Musil hätte er keine Hemmungen“. Peter Handke redet dazwischen, wie gewohnt: „Dann legen Sie auch bei mir die Hemmungen ab!“. Handke murmelt, mehr für sich, doch für alle hörbar, dass es schön wäre, wenn von den Anwesenden auch noch der Eine oder die Andere was sagen würde …
Martin Kušej eröffnet den Reigen, erzählt vom Kennenlernen und von neuen Stücken, die im Burgtheater kommen werden und reicht die Stafette an mich weiter. Ich erzähle vom Pilznarren, wie sich Handke in einer Widmung vor Kurzem selbst nannte, wie er unter die Blätter und hinter die Worte schaut und vom Hexenei; Maja Haderlap weiß zu berichten, dass ihr Onkel Anton, der Förster, Handke erzählte, warum die Partisanen keine Pilze aßen, Handke wirft ein, dass diese Geschichte ins Stück Immer noch Sturm eingang fand; Johanna Rachinger erinnert sich, wie sie als Jugendliche im katholischen Zirkel Handke lasen und mit Worten aus der Publikumsbeschimpfung für Irritationen im Dorf sorgen; Heinz Fischer, unser HBP i. R., weiß um die Bemühungen vor gut einem Jahrzehnt, Handke nach Österreich zu holen, Jochen Jung wirbt für das neue Buch Das zweite Schwert und Martin Schwab, der große Kammerschauspieler, erinnert sich an Gregor im Stück Über die Dörfer, den er gab und die Furcht die er durchmachte, wie es der Autor wohl aufnehmen würde und Martin Schwab ist es, der die Stafette an Peter Handke weiter gibt. Hubert Patterer, Chefredakteur der Kleinen Zeitung hat sich noch in der Nacht die Mühe gemacht, Handkes Tischrede zu transkribieren. Hier im Wortlaut:
„Es ist alles viel größer und schöner als man sich das vorstellen kann, was man tun kann als kleiner Mensch aus einem Winkel in Österreich. Was da an Märchenhaftigkeit und zugleich an Wahrhaftigkeit auf einen zukommen kann. Das kommt auch von Euch und von den Abwesenden, vor allem von den Abwesenden, vielleicht noch mehr als von Euch, von den Abwesenden, die einzeln das Volk bilden und nicht das Volk als Kette darstellen.
Meine erste große Sensation war: Ich habe gedacht, Österreich, ich beschließe, dass ich aus einem großen Land bin. Ich lass mir das nicht bieten, dass die Leute sagen, es ist ein kleines Land. Ich hab beschlossen, ich stamme aus einem großen Land, und so schreibe ich. Es muss nicht Russland sein. Es muss nicht die Steppe sein, aber es ist auch die Steppe. Und es ist der Ural. Auch in Österreich ist der Ural. Zum Beispiel die Saualpe, an deren Fuß ich geboren bin, in Stara Vas, in Altenmarkt, in Griffen, das ist die Saualpe, die von Norden bis nach Griffen und Diex reicht, das ist ein Kontinent für mich.Das macht meinen fruchtbaren Größenwahn aus, den ich hatte und immer noch habe und den ich jedem von Euch wünsche. Dass ich gedacht habe: Ich stamme aus Alaska, aus Arizona, vom Ufer des Yukon River, der ins Beringmeer mündet, weiß der Teufel, da kommen wir alle her, aber zugleich kommen wir aus Österreich. Jeder hat präzis seinen Winkel. Rechte Winkel, schiefe Winkel. Nur die Kunst hat Winkel, die 360 Grad haben. Die umfassen die Erde.
Wir haben gewaltige Schriftsteller. Gewaltige Künstler. Nicht nur Stifter. Nicht nur Grillparzer. Wir sind alle fragliche Gestalten, Grillparzer war eine fragliche Gestalt. Stifter, Gott sei Dank eine fragliche Gestalt, Hofmannsthal, Schnitzler, Lavant, Bachmann, Jonke, endlos ist die Litanei. Gewaltig, was wir sind. Nicht wir! Was die Leute sind, das kommt von den Leuten her. Die Leute, die hier gelebt haben, die den Widerstand gemacht haben, die das Land bearbeitet haben und im Land vergraben sind: Das sind unsere Helden.
Ich will Österreich kein Loblied singen. Aber ohne diesen Wahn, den ich hatte, dass ich aus einem großen Land stamme, wäre ich nichts, wären wir alle nichts. Sie nicht, ich nicht. Auch die Skispringer gehören dazu. Alle. So, und jetzt lasst mich in Ruhe!
Literaturhinweis
Sonderedition zum Nobelpreis für Literatur 2019 im Wieser Verlag