Am 10. März notierte ich folgende Zeilen:
„Ab heute bleit nichts mehr, wie es war. L. ordnete sein Leben. Bei der Seitentür schleicht sich, ‚unter dem Mantel der Tod herein‘, wie der slowenische Schriftsteller France Bevk 1929 die Ereignisse um die Pest 1348 in Friaul und Kärnten und die Quarantäne, die über Udine/Videm u.a. Städte verhängt wurde in seinem Roman ‘Znamenja na nebu’ (Zeichen am Himmel) beschreibt. Draußen erfreut sich die Menscheit der wärmenden Sonnenstrahlen Draußen erfreut sich die Menscheit der wärmenden Sonnenstrahlen. Von der Terasse winkt die mögliche, sorgenfreiere Zukunft. Zwei, sein Leben vereinfachende Ereignisse haben sich heute, glaubhaft, angekündigt und er erwartet deren Eintreten mit wohlwollender Skepsis. Soeben hat er erstmals registriert, dass er zu der 3-5 % Mortalitätsrate zählt und schützenswert wäre. Virologen bekommen erstmals in seinem Leben eine beachtenswerte Rolle eingeräumt. Sätze, wie diese lösen ein Nachsinnen aus: „Sie“ – die über 65 Jährigen – „haben noch nicht verstanden, dass sie die wirklich Betroffenen sind und dass ihr Sozialleben jetzt für einige Monate aufhören muss.“ („https://web.de/magazine/gesundheit/virologe-christian-drosten-coronavirus-maximum-faelle-juni-august-34501948)
Bis gestern meinte er, es wäre eine Böhe, die das Land nur streifen würde. Seine Tochter meinte im Morgentelefonat, sie käme sich zunehmend eingesperrt vor, soetwas habe sie noch nicht erlebt. Ja, auch er kann sich in den sechseibhalb Jahrzehnten an so eine Lebenssituation nicht erinnern. Er blättert in seiner Erinnerung: Vogelgrippe, Tier-Skandal, Ölkriese 1974, Schweinepest, Ebola – nichts, was ihn abgehalten hätte, zu reisen, sich zu bewegen, sich uneingeschränkt auf alles zu freuen.
Er ist ab jetzt gefährdet. Vom Virus und von der Klaustrophobie, die ihm schon so manches Ereignis zunichte gemacht hat. Von daher hat er für die neu entstandene Situation gute Voraussetzungen, von der eingeschränkten öffentlichen Präsenz zu profitieren.“ (Ende der Notiz)
In den vergangenen sechs Tagen hat sich alles, von Tag zu Tag mehr, in einem Tempo gesteigert, entblöst und offenbart, dass er sich, nun, diese kurze Zeitspanne überblickend, wundert, mit welcher Gelassenheit er heute, zuhause sitzend, lesend, schreibend, nachdenkend, dem Ganzen begegnet.
Heute hat er mit seiner Frau ein kleines Mittagsmenü gekocht. In den Tiefen der Speis und des Gefrierschrankes offenbaren sich wahrhaftige Überraschungen.
Gehamstert haben sie in den letzten Tagen nicht. Nicht einmal Klopapier. (Hier verfällt er in Gedanken und findet sich in der Kindheit: Die ersten Jahre, winters wie sommers, gingen sie noch zum Herzen-Klo im Freien, hinter der Hütte, zwischen Hollerstrauch, Kompost- und Misthaufen, um sich zu erleichtern. In einer Holzschachtel waren – in postkartengröße – Zeitungsabschnitte vorbereitet, die er meist einmal die Woche aus alten, ausgelesenen Zeitungen, nicht Illustrierten, mit einem scharfen Küchenmesser zu zuschneiden hatte. In Ermangelung seiner Lesefähigkeit damals, hat er, mit großer Neugierde die Karrikaturen, grob gerasterte Bilder – grau in grau, meist verstümmelt, da zerschnitten – betrachtet und machte sich zum Spiel und zur Gewohnheit, sich auszudenken, wer am Bild fehlen würde oder was von der Karrikatur verloren gegangen sei und zeichnete diese im Geiste weiter…)
Ein paar Kleinigkeiten haben sie sich vor Tagen am Biomarkt besorgt: Den ersten Löwenzahn und frischen Bärlauch, aus der Nähe von Dravograd hatte ihn angelacht. Der junge Bauer erzählt, dass er den Bärlauch bei sich, auf 700 Meter angebaut hat und garantieren könne, dass keine Maiglöckchenblätter dabei wären („Dass, was uns mit dem Virus bevorsteht, reicht für einige Zeit“, meint er). Den Löwenzahn haben sie gleich am Samstag, am ersten Tag, an dem sie sich zurückzuziehen begonnen haben, zu Salat gemacht.
LÖWENZAHNSALAT. Wasche den Löwenzahn, lass aber die Wurzelteile dabei, da hier gute Bitterstoffe konzentriert sind, die zur Regulierung des Gallensaftes gute Arbeit machen, schneide alles recht fein; koche Kartoffeln, schäle die gekochten und schneide sie warm zum fein geschnittenen Salat; mariniere diesen mit einer Emulsion aus Knoblauchwasser (zerdrücke drei, vier Zehen, laß sie im Wasser 15 Minuten ziehen und gib das Knoblauchwasser zu Öl, Essig, Salz, Pfeffer, ein wenig Senf, wenn du willst und vermenge alles mitsammen). Oben drauf kommen geviertelte gekochte, warme Eier. Ein Hochgenuß und ein Frühlungsimpuls für den nach Vitaminen und Abwehrstoffen sich sehnenden Körper. Der Löwenzahn wirkt positiv auf Galle, das Immunsystem u.v.a.m. Siehe: http://heilpflanzenwissen.at/pflanzen/der-lowenzahn/
Aus dem Bärlauch kochten wir am Sonntag einerseits eine cremige Suppe und heute den Spiegel für die Faschierten Labalan/Leibchen, serviert mit Bratkartoffeln und gemischten Salat.
BÄRLAUCHSUPPE. Dünste eine fein geschnittene Zwiebel glasig, gib gehackten Bärlauch und gestampfte Erdäpfel dazu, lass es ein, zwei Minuten wellen, lösche mit Gemüsefond (oder Gemüsepulver ohne Glutamat in heißem Wasser aufgelöst) gib einen guten Schuß Rahm dazu und mixe alles mit dem Zauberstab, schmecke es ab und serviere die Suppe mit geröstetem Weißbrot.
BÄRLAUCH FÜR DEN SPIEGEL. Zwiebel und Bärlauch angedünstet, wie bei der Suppe, gib jedoch eine Messerspitze Anis und eine halbe Messerspitze gemahlenen Zimt dazu, (gibt eine geheimnisvolle Note, erhöht den Geschmack und stärkt Verdauung und Immunsystem). Eine zerdrückte, gekochte Kartoffel (war noch vom Vortag, vom Löwenzahnsalat übrig, bindet die Suppe). Mit Gemüsefond kurz aufkochen, mit einem viertel Liter Rahm eindicken und alles gut mixen. Die Creme als Spiegel zu den Bratkartoffeln und dem Faschierten reichen. Kartoffel vom Vortag eignen sich zum Anbraten in Butter oder Butterschmalz besser. Auch ist Butter oder Butterschmalz in diesem Fall aromatischer als Olivenöl oder ein anderes pflanzliche Öl.
Lässt man das Faschierte weg, bietet diese Kombination eine wunderbare vegetarische Hauptspeise!
FASCHIERTE LABALAN / LEIBCHEN. Der Gefrierschrank gab das wunderbare Biofaschierte vom Lamm heraus. Aufgetaut, mit drei alten Weißbrotschnitten, in Milch und verquirreltem Ei eingeweicht und mit dem Faschierten vermengt, mit einer guten Idee Tymian und mit etwas weniger Rosmarin, Salz und Pfeffer vermengt, wird das Fleisch mit aus Weißbrotresten selbst geriebenen Semmelbröseln gebunden, zu Labalan geformt und in Butterschnalz gebraten und serviert.
Als Nachspeise reichten wir je acht gedörrte Zwetschgen und drei Datteln. Beides Früchte, die das Immunsystem und den Stoffwechsel anregen. Gut, damit sich Giftstoffe nicht zu lange im Körper aufhalten. Der verdünnte Saft aus Kornellkirschen/Dirndeln gleicht durch seine feine süß-saure Anmutung den Appetit auf den Wein aus und wirkt zugleich magenfreundlich.
Als Lektüre liegt die kleine Geschichte von Tantadruj von Ciril Kosmač bereit. Eine berührende Geschichte über den mit vierzig Kuglocken behangenen jungen Mann, der, von seinen Freunden begleitet, das Glück sucht, den Tod als Erlösung anstrebt und bei beiden scheitert.„Diese, an der Grenze von Tragik und bizarrer Komik, von lyrischer Zuversicht und stillem Pathos erzählte Novelle, ein philosophisches Kunstmärchen“, schreibt Karl-Markus Gauß
https://www.wieser-verlag.com/buch/tantadruj/