Mit Tilman Reuther von der Alpen-Adria Universität Klagenfurt/Celovec, der auch u.a. 20 Jahre lang der Beauftragte der Universtät zu ukrainischen Institutionen in Chakriw u.a. war, entspannte sich heute eine intensive Polemik, anhand der Frage, ob man die russische Sprache boykotieren soll, da sie über Jahrzehnte Kriegsvorbereitend gewirkt hätte, wie es die stellvertretende PEN Vorsitzende Sabuschko in der NZZ formulierte.
Tilman Reuther schrieb: “ Hast Du, lieber Lojze, den Artikel von Sabuschko überhaupt gelesen? Wenn ja, würdest Du erkennen, dass der Freiburger Slawistik nur seine eigenen privilegierte Bücherregale retten will und Sabuschko manipulativ referiert.“
Meine Antwort: „Und ob ich ihn gelesen habe! Auch den Aufruf des ukrainischen PENs zum Boykott der russischen Sprache, oder glaubst Du, ich teile blind, nach Bauchgefühl? Schau in meinen Blog auf www.lojzewieser.net, du wirst genügend Stoff zum Nachdenken finden u vergiss nicht: Der gesellschaftliche Riss geht nicht – Sprache gegen Sprache, – es geht um Demokratie und Reaktion quer durch. Du teilst doch auch die Meinung, dass der großartige Beitrag der russisch schreibenden ukrainischen Autorinnen und Autorinnen hohe literarische Kunst ist. Charsonskys Familienarchiv zum Beispiel. Und was eure Slawistik-Interna angeht, na ja. Jedenfalls gehts um mehr… https://www.wieser-verlag.com/buch/familienarchiv-wtb/
Tilman weiter: „Lojze Wieser Danke für den Hinweis auf Deinen Blog. Was aber sollte das unkommentierte Teilen der Antwort auf Sabuschko? Und was soll die herablassende Unterstellung, es gehe mir um „Slawistik-Interna“, während Du den Weitblick pflegst“
Darauf antwortete ich: „Tilmann Reuther Ach sei nicht angerührt, deine Wortwahl ist ja grad nicht so… eher John Waynartig.
Aber: Sprache! In Deutsch wurde der Faschismus gepredigt, auf Latein von Päpsten Bullen gg das Slawische verfasst; In Englisch, Holländisch u Französisch die Ausrottung der Innus in Kanada und der Innuits in Amerka befohlen…um nur einige der Wenigen Schandtaten im Namen der Macht zu benennen. Mißbraucht wird die Sprache.
Soll ich mich deswegen meinen Sprachen um Frieden und Demokratie und Verständigung entsagen oder Verbindungen über nationale, nationalistische und chauvinistische Hürden hinweg suchen und festigen?“
Tilmann Reuther versuchte meine Argumente zu entkräften: „
Lojze Wieser „Die „Debatte“ über Tolstoj“ – „die „Zukunft“ der „Menschheit““ – „die „Erlangung“ des Friedens“ – ehrlich gesagt, ich brauche eine WG für 2 – 5 Studierende aus Charkiv, die mit Erlaubnis ihrer Stellungskommissionen gerade in Klagenfurt angekommen sind bzw. dennächst noch kommen. Erasmus+-Programm, das vom Kriegsrecht ausgenommen wurde.
Möglichst nahe an der Uni, VB für Miete pro Person 150 Euro, möglichst kautionsfrei, möbliert und nicht im sommerheißen Dachboden. Bezug sofort. Bin gespannt wer den schönen Friedensgedichten Taten folgen lässt.“
Das veranlasste mich, etwas grundsätzlicher zu werden. Deswegen habe ich diese Überlegungen zusammen geschrieben, die ich gerne zur Diskussion stelle, geht es doch um eine zentrale Fragestellung, wenn wir an den Aufbau einer notwendigen und neuen Friedensbewegung herangehen wollen und der Vernichtung der Menscheit – durch bisher nicht, oder aufgrund gescheiterter Schritte – bisher nicht gegangen sind. Und: Auch wenn es nur Fragmente sind – Es ist höchste Zeit!
Nun, neuerlich, lieber Tilmann, bedienst du dich eines Taschenspielertricks. Handeln und denken an eine möglichst lange Friedenszeit, lassen sich verknüpfen, wie die nach dem 2. WK knapp 50 Jahre kriegsloser Zeit in Europa in erster Linie der Blockfreienbewegung von Tito, Ghandi, Nehru…- zuzuschreiben und verdanken ist. Allein daraus könnte man f die heutige Zeit genügend erprobte Vorgangsweisen ableiten, wenn man nur möchte.
Als vor 30 Jahren der blutige Zerstörungsprozess Jugoslawiens begann, gab es noch keine so gut organisierte Hilfe für Menschen, die zur Flucht gezwungen waren. Der Wieser Verlag hat in diesen u folgenden Jahren für gut ein Dutzend Schriftstellerfamilien nicht nur Unterkünfte, auch Stipendien, Aufenthaltsgenehmigungen, Pässe, Arbeit u v.a mehr organisiert. Ich als Verleger bin fast zwei Jahre ausschließlich für die Menschen da gewesen, Tag und Nacht, ohne staatlicher Unterstützung wohlgemerkt, bis die Briefbomben, Briefbombenatrappen, Morddrohungen und Anklagen meine Arbeit gestoppt haben und mir in Folge vorgeworfen wurde, ich könme nicht „wirtschaften“. In dieser Zeit haben wir 16 Bücher auf Bosnisch in der Bosnischen Bibliothek herausgebracht, zahllose Übersetzungen von Bogdanović, Velikić, Karahasan und Anderen verlegt und sie international bekannt gemacht. Und, wir haben an eine Zukunft nach dem Krieg nachgedacht, indem wir die Fundamente zur Wieser Enzyklopädie des europäischen Istens (WEEO) legten.
Als der Krieg nach 30 Jahren wieder vor der Tür stand, deutlicher, lauter, chauvinistischer als je zuvor, hatte ich das Gefühl eines Dejavues: gleiche Fragen, selbe Ahnungslosigkeit bei den Medien und ähnliche dummdreiste Kommentare.
Wir, in den Verlagen Drava und Wieser, haben uns nichts vorzuwerfen: Wir haben systematische an der europäischen Literaturlandkarte gearbeitet, auch die blinden Flecken des Ukrainischen, des Russischen, der Schrift Cyrilica und der Geschichte der Sprachen haben wir gewürdigt (im Gegensatz zu so manchem universitäten Institut quer durch Europa), wir haben dann die Wieser Enzyklopädie des europäischen Ostens (WEEO) begründet, ein Sprachenlexikon ganz Europas – des europäischen Ostens und des europäischen Westens verfassen lassen und es allen Politiker:innen, Studierten, Neugierigen und Wissenden vorgelegt, damit sie klüger würden…
Wir haben bei Drava und Wieser in diesen knapp vier Jahrzehnten 400 slowenische Werke übersetzt, samt Sekundärliteratur, nachdem ich 1980 staunend erkennen musste, dass kein einziges – ha, du hörst recht: KEIN EINIGES slowenisches Buch in Kärnten auf Deutsch vorliegt und haben damit – und mit der Initiative für zweisprachige Ortstafeln 2006 mit „proKärnten/zaKoroško – die Fundamente gegraben, auf denen der Konsens in Politik und Gruppen erst möglich wurden.
Wir haben hier gehandelt, wir haben das Land (mit)verändert und (mit)geprägt und wir haben nicht gewartet. Zu keinem Zeitpunkt. Wir haben getan! Wie? Indem wir um Geld gelaufen sind, indem mein bei Versicherungen verdientes Geld zur Finanzierung einfloss, und und und… Und: es hat oft nicht gereicht. (Wie haben sich da einige deiner Kollegen den Mund über mich sabbrig geredet…. aber, dass ist eine andere Geschichte und bedarf auch einmal einer entschuldigenden Klärung)
Und daher ziehe ich, lieber Tillmann, nach über 40 Jahren das Resume: In der schlimmsten Scheiße musst du den Kopf aus dem Dreck strecken und an die Gestaltung der Zukunft gehen!
Und: Lass endlich die verbrauchten und verdorbenen Heilslosungen vergangener Jahrhunderte dort, wo sie hingehören – in der Mottenkiste. Neues zu Denken wagen, das benötigen wir. Fern von Nationalismen, Chauvinismen, Nationalstaaten mit Zwangsassimilation (siehe Ukraine heut: Boykott der russischen Sprache generell, auf der ganzen Welt! Wo sind wir? Allein 15.000 Kriegsgegner sitzen in Russland in den Gefängnissen, 150.000 Menschen waren gezwungen in die Emigtation zu gehen, darunter die 79jährige Menschenrechtsaktovistin Irina Scherbakowa und die Autorin Alissa Ganijewa. [Siehe: Norbert Schreiber https://www.wieser-verlag.com/buch/anna-politkowskaja-cronik-eines-angekuendigten-mordes/ https://www.wieser-verlag.com/buch/der-kaukasische-teufelskreis/ https://www.wieser-verlag.com/buch/verletzte-gefuehle/ ]
In Jugoslawien vor 30 Jahren haben derartig gefährliche Losungen noch bis zu zwei Jahren gebraucht, bis sie Spruchreif wurden und ihr Unheil begannen. Es wirkt bis heute. In der Ukraine hat der Chauvinismus nach der ersten Woche Krieg voll durchgeschlagen. Das geht auch nur, wenn er allerorts, auch im Westen, auf fruchtbaren Boden fällt. (Hören wir hier gar wieder das Echo des Völkerbundes, während u nach dem 1. WK, mit seiner ethnischen Säuberungspolitik, nicht nur den Armeniern, Griechen, Türken gegenüber, und sehen wir nicht Stalin, die Krimtataren nach Sibieren in den Tod schicken? Assimilation, wo die nicht geht, Vernichtung von Kultur und von Sprache.
Ist es so schwer, einige historische Verbindungslinien zu ziehen?
Heute hörte ich im slowenischen Radio eine unwahrscheinlich spannende, fast mutigmachende Diskussion von Juristen, Richtern, Staatsanwälten, Amnasty International u a. die darüber berichteten, dass die europäische juridische Maschinerie zur Sammlung der begangenen Kriegsverbrechen in der Ukraine voll angelaufen sei. Sie hätten derartiges noch nicht erlebt. Es wird gesammelt, dokumentiert, gesichtet… Das einzige Hindernis, an dem diese wertvolle Dokumentation scheitern könnte ist, dass die den europäischen Vertrag zu Kriegsverbrechen und den Römischen Vertrag als Erweiterung (diese Verträge haben eine klare Überschrift, ich hab sie mir nicht gemerkt, aber jeder weiß, worum es geht) unterschriebenen Staaten deren Arbeit nicht oder nur schleppend finanzieren.
Halten wir fest: Das sind doch jene Staaten (der EU u außerhalb), die in Milliardenhöhe die Waffenlieferungen in die Ukraine finanzieren, aber zugleich die Aufklärung der Verbrechen an der Menschlichkeit durch verzögerte Zahlung behindern oder durch Nichtzahlung sabotieren, indem sie die selbst gemeinschaftlich beschlossene Aufklärungsarbeit mangels Finanzbagatellen – im Vergleich zu Waffenlieferungen – ausdursten lassen! Wie nennt man sowas? Internationale des Machterhaltes? Wie meinte heute Stoltenberg? Nicht alles im Interesse des Profites tun. Also, was sagt uns das?
Publikationen zur ukrainischen und über die ukrainische Literatur, sowie zur russischen und über die russische Literatur in den Verlagen Wieser und Drava sind hier im Überblick. Bitte um zahlreiche Lesung und Verbreitung. Hoffnung können wir nur vom Buch, und nicht vom Krieg, erwarten.
Das Neueste aus den Verlagen.
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